Kriegszeit

(1933 - 1945)

Nach der Machtübernahme Hitlers kam eine neue Industrie in die Stadt: In zwei großen Rüstungsbetrieben, der Sprengchemie und der Dynamit-AG Alfred Nobel Nachf., wurde produziert. Ein neuer Stadtteil, das Steinlager, wurde ausgebaut. Am Oder-Havel-Kanal (oder damals dem Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin) wird 1934 in Niederfinow eine technische Meisterleistung in Betrieb genommen: das Schiffshebewerk, eine Stahlkonstruktion als Fahrstuhl für Schiffe, um die 36m Höhenunterschied des Kanals zu überwinden.

(1945)

Im Winter 1944/45 werde die Ostfront zurückverlegt und rückte auf Ostpreußen zu. Anfang Januar 1945 kamen die ersten Flüchtlingstrecks durch, lange Wagenkolonnen, beladen mit Hausrat, Wäsche, Kleidung und Lebensmitteln. Damals ahnten wir noch nicht, daß drei Monate später die Bevölkerung von Oderberg den gleichen Weg gehen würde. Die Front rückte immer näher und schließlich lag die Hauptkampflinie an der Neuen Oder. Von da an lagen wir unter Beschuß, 3 Wochen lang; er setzte eines Nachts ein und wurde in regelmäßigen Abständen fortgesetzt. Einige Einwohner, darunter drei Kinder, Vogt, Klenzke, Rochlitz wurden durch Granatsplitter getötet. Schon im Februar begann man mit der Evakuierung der Frauen und Kinder, denen im März und April immer mehr Einwohner folgten. Inzwischen hatte die Stadt Einquartierung durch die SS erhalten. Auf dem Albrechtsberg, Geistberg, Judenfriedhof, Schanzenberg und den Berghängen nach Saaten zu wurden Laufgräben gezogen und Stellungen gebaut. Sogar in dem Garten neben dem Rathaus war eine MG-Stellung mit Laufgräben errichtet und oberhalb der Treppe zwischen Albrechtsberg und Pfarrberg waren Vorrichtungen getroffen worden, um ein großes Geschütz aufzustellen. Auf dem Friedhof neben der Leichenhalle, stand im Gebüsch ein Panzerspeewagen.

Die Kämpfe an der Ostfront nahmen an Heftigkeit zu. Es wurden die ersten toten Soldaten gebracht, die auf unserem Friedhof bestattet wurden. Ihnen folgten noch viele, im ganzen waren es ca. 90. Mitte April hatten wir einen kurzen Fliegerangriff, dem leider einige Menschenleben und mehrere Häuser zum Opfer fielen. Daraufhin ergriffen immer mehr Leute die Flucht. Und am 13. April wurde der Befehl gegeben, daß die Bevölkerung die Stadt räumen muß. Die Kommandostelle der SS wer am Markt im Mielekeschen Haus, und dort lag der Befehl vor, die Stadt abzubrennen. Lehrer Thiele, der dort als Schreibhilfe kommandiert war, hat diesen Befehl zurückgehalten, und dadurch verhütet, daß furchtbares Elend über die Stadt gekommen wäre. Die SS begann nun eine Vernichtungsaktion; sie steckten das Berliner Holzkontor in Brand und sprengten zwei kleine dazugehörige Brücken. Unsere massive Stadtbrücke wurde ebenfalls gesprengt, ebenso der Aussichtsturm (das Wahrzeichen von Oderberg) und die Windmühle mit 20 Zentnern Mehl und einigen Zentnern Gries. Dies geschah alles am Abend des 20. April. Es blieben nur noch wenige Einwohner hier, die dann im Feld Zuflucht suchten. Die Flüchtlingstrecks gingen über Joachimstal, Templin, Menz, Rheinsberg nach Mecklenburg hinein.

Am 27. April kam die Sowjetarmee über die Alte Oder und einige inzwischen zurückgekehrte Einwohner gingen ihnen mit der weißen Fahne entgegen. Es wurde nun von den paar anwesenden Einwohnern einer als Bürgermeister ausgewählt und das Leben in der Stadt begann wieder zu pulsieren; zunächst allerdings in einer abscheulichen Weise. Es wurden alle Wohnungen durchsucht und durchwühlt und Bekleidung, Wäsche, Betten, sowie anderer Hausrat und Lebensmittel entwendet. Ein Teil der Einwohner, die nach und nach zurückkamen, halfen dabei. Die SS und die Rote Armee sowie die entlassenen Polen hatten aber schon vorher ihr übriges getan. Die Versorgung der Bevölkerung war katastrophal. Die Lebensmittelgeschäfte waren leer, das wenig vorhandene Mehl wurde genau eingeteilt. Jeder Einwohner bekam pro Tag für 10 Pf. Brot und sonst gab es nichts zu kaufen. Die meisten hatten zwar noch eingekellerte Kartoffeln aber nichts dazu. Gemüse gab es auch erst spät im Sommer, denn wegen des Beschusses im März/April konnten die Ländereien erst im Juni bestellt werden. Ab und zu gab es mal etwas Pferdefleisch, aber mit Anstehen, die letzten bekamen nichts mehr.

Durch all diese Entbehrungen erkrankten sehr viele Leute an Ruhr, Typhus usw., es war jedoch bisher nur ein Arzt zurückgekommen, der unmöglich alle Patienten behandeln konnte. In schwierigen Fällen, insbesondere bei chirurgischen Eingriffen, wurde die russische Arztin geholt, deren Hilfeleistung so mancher Einwohner sein Leben verdanken kann.

 

a b o @ o d e r b e r g . i n f o
©1999-2005 Andreas Bonadt